Über das Projekt
So wenig wie die anachronistische Bezeichnung Stummfilm die Soundscapes im frühen Kino zu erfassen vermag, so wenig ist eigens für einen bestimmten Film komponierte Musik als Regelfall für den frühen Film anzusehen. Die weit über 120 erhaltenen eigens komponierten (oder zumindest arrangierten und gedruckten) Musiken zu einzelnen Filmen bis 1918 sind zwar eine relativ kleine, absolut jedoch beachtliche Zahl. Auch wenn nur zu ca. 25 % dieser Musik die kompletten Filme erhalten sind, wird in dem von 2024–2029 laufenden, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Reinhart Koselleck-Projekt geförderten Forschungsprojekt erstmals das gesamte Korpus bearbeitet werden. Teil des Projekts sind auch zwei Dissertationsvorhaben:
Fabian Müller
Amerikanische Stummfilmmusik bis 1914
Stummfilme wie The Birth of a Nation (1915) oder Intolerance (1916) besitzen in der Filmgeschichte einen hohen Stellenwert, weshalb auch die Filmmusik von Joseph Carl Breil Gegenstand analytischer Untersuchungen ist. Bei näherer Betrachtung und unter Einbezug weiterer musikalischer Quellen zeigt sich jedoch, dass die Filmmusik und die angestrebte filmmusikalische Begleitform bereits in früheren Filmmusiken Verwendung finden. Daher werden in der Dissertation filmmusikalische Begleitformen in den USA vor 1915 näher untersucht. Filmkomponisten der Phase von 1910 bis 1914 vertonen nicht nur verschiedene Sujets, sondern nutzen auch aufgrund ihrer unterschiedlichen musikalischen Prägungen diverse Formen musikalischer Begleitung, die sie aus einem ihnen bekannten Repertoire entnehmen. Durch Bezüge zur Oper, zum populären Musiktheater, zu populären Songs und zu weiteren Stücken des Konzertlebens dieser Zeit wird von Komponisten der Versuch unternommen, die Musik näher an das Geschehen des Films zu binden und Film wie Musik als eine „ernste“ Kunst zu legitimieren. Das Ziel der Dissertation ist es, die Einflüsse auf die Stummfilmmusik anhand der Analyse des Notentextes gedruckter Partituren festzustellen und die Ursprünge der filmmusikalischen Begleitung zu untersuchen.
Levent Altuntas
Die Musik der Super-Productions des Jahres 1916
Das Jahr 1916 brachte einige der bis dahin kostspieligsten Filmproduktionen Hollywoods hervor. Speziell für die jeweiligen Produktionen komponierte Filmmusik, meist aus der Feder prominenter Komponisten, trug zum Prestige der Filme bei und stand mit oft großen Orchesterbesetzungen dem visuellen Aufwand in nichts nach. Dennoch führen diese Partituren ein Schattendasein im wissenschaftlichen Diskurs. Die Dissertation soll dazu beitragen, diese Lücke durch Analysen von sechs Stummfilmpartituren aus dem Jahr 1916 zu schließen: A Daughter of the Gods (Musik: Robert Hood Bowers), The Fall of a Nation (Musik: Victor Herbert), Joan the Woman (Musik: William Furst), Intolerance (Musik: Joseph Carl Breil), Gloria’s Romance (Musik: Jerome Kern) und Civilization (Musik: Victor Schertzinger). Besonders in den Fokus genommen werden hierbei Satztechniken, Harmonik, Melodiebildung, motivisch-thematische Arbeit und Instrumentation, sofern vorhandenes Stimmenmaterial oder genaue Angaben in den Klavierauszügen dies erlauben. Die genannten Parameter werden, je nach Quellenlage, zwangsläufig mehr oder weniger ausgeprägt auch auf ihre funktionale Wirkung im narrativen Kontext hin untersucht. Ziel ist es, ein möglichst realitätsnahes Bild der damaligen Filmmusikpraxis zu zeichnen, das vorhandene Vorstellungen kritisch hinterfragt und vor dem Hintergrund der Befunde neu bewertet.